Am 5. Januar ist es endlich so weit: Freudestrahlend empfangen wir unseren Leihwagen für die kommenden 53 Tage! Der nagelneue Hyundai Tucson ist ein ziemlich großes Fahrzeug, so groß, dass wir sogar in ihm übernachten können und mehr als genug Platz für unsere Rucksäcke darin ist. Bis zuletzt haben wir ein bisschen gezittert, ob es denn wirklich alles klappt mit dem Mietwagen, denn neben einer stattlichen Kaution, die wir hinterlegen müssen, brauchen wir auch spezielle Genehmigungen für den Grenzübertritt nach Argentinien. Unsere erste Buchung mussten wir direkt wieder stornieren, denn damit der Grenzübertritt erlaubt ist, muss man einen SUV mit Premiumversicherung mieten, was wir dann aber über Europcar direkt buchen mussten und nicht, wie wir es getan hatten, über einen Drittanbieter. Es gibt also einiges zu beachten, wenn man auf eigene Faust einen Roadtrip durch zwei Länder mit einem Leihwagen starten will, aber nach einigem Hin und Her hat es dann tatsächlich geklappt und wir können von Valdivia aus zu unserem ersten Stopp in das gut 200 Kilometer entfernte Pucón fahren. So sieht unsere erste Etappe dann aus:
In Pucón wollen wir zunächst zwei Nächte auf einem Campingplatz bleiben. Dafür decken wir uns mit einigen Utensilien und natürlich Lebensmitteln ein. Unser erster Stopp ist also erstmal ein Campingausrüster für einen Gaskocher und Kartuschen und dann der größte Supermarkt, den wir finden können – und wurden nicht enttäuscht: Es gibt sogar deutsches Roggenbrot und wer möchte, kann sich auch mit Sauerkraut, Spreewaldgurken und naturtrübem Apfelsaft eindecken…nach mehr als vier Monaten in Südamerika sind die cravings nach deutschen Produkten groß und wir laden uns ordentlich den Wagen voll. Selten hat Roggenbrot aus der Packung so gut geschmeckt!
Mit vollem Kofferraum geht es also nach Pucón, einem beliebten Urlaubsziel für einheimische Tourist*innen, das aufgrund des nahegelegenen Vulkans Villarrica aber ebenso beliebt ist bei ausländischen Besucher*innen. Der ganze Ort wirkt ein bisschen wie Titisee-Neustadt im Schwarzwald, direkt an einem großen See gelegen und ein Restaurant oder Café reiht sich an das nächste, dazwischen zahlreiche Anbieter für Touren und Exkursionen. Wären da nicht die Menschenmassen, die das 25.000-Einwohner*innendorf in der Feriensaison förmlich überschwemmten, wäre es das pure Idyll.
Wir sind indes froh, nicht im Ort direkt, sondern auf unserem etwas außerhalb gelegene Campingplatz zu residieren und die Ruhe fernab des Massentourismus zu genießen.
Für unseren ersten Ausflug mieten wir Fahrräder und fahren damit zu den 17 Kilometer entfernten Ojos de Pucón, ein beliebtes Ausflugsziel aufgrund der türkisblauen Lagune, die man auf einem kleinen Rundweg besichtigen kann (Eintritt 3000 CLP pro Person). Nochmal gute sechs Kilometer bergauf müssen wir dann zum See Caburgua fahren, wo wir etwas abseits eine kleine Bucht finden, wo wir unsere Käsebrote verspeisen und ein bisschen in der Sonne entspannen. Felix ist sogar so waghalsig und geht im See baden! Jetzt warten 23 Kilometer Rückweg auf uns, auf denen wir einen kurzen Zwischenstopp im Café Amankay, wo es leckeren Kuchen und auf ein Tagesmenü für Hungrige gibt.
Interessanterweise heißt Kuchen hier wirklich kuchen und an zahlreichen Schildern an den Straßen laden die Cafés und Gasthäuser zu kuchen, streusel oder strudel ein und auch sonst fällt uns auf, dass hier ständig und überall deutsche Namen auftauchen. Es wird also Zeit für einen kleinen deep dive in die Geschichte der Region, um herauszufinden, wieso ausgerechnet hier der deutsche Einfluss so groß gewesen sein muss?
Zunächst eine kurze Bestandsaufnahme: Im Supermarkt finden wir zahlreiche deutsche Produkte, immer wieder zieren Wörter aus der deutschen Sprache Schilder und Speisekarten, fast jeder größere Ort hat eine deutsche Schule und das Dörfchen Frutillar bei Puerto Montt ist aus einer deutschen Community heraus entstanden, die das Dörfchen 1856 gründeten und in dessen Museum man bis heute die Geschichte der deutschen Einwanderer*innen nachvollziehen kann. Bis heute scheint es zahlreiche Deutsche nach Chile zu ziehen und die Region Los Lagos und Patagonien zählen sicherlich zu den schönsten Orten, die man sich zum Auswandern und Niederlassen aussuchen kann (und ohne hier jetzt Panik zu verbreiten: Wir können das gut verstehen und würden sofort einen Job an der Deutschen Schule Valdivia annehmen!).
Etwa eine halbe Million Chilenen haben deutsche Wurzeln (bei einer Gesamtbevölkerung Chiles von gerade einmal 19 Millionen auf einer Fläche doppelt so groß wie Deutschland und eine Länge von 4275 Kilometern – fun fact: an der schmalsten Stelle misst Chile nur 90 Kilometer in der Breite!). Die Mehrheit der deutschen Auswanderer kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach der Deutschen Revolution 1848/49 in den Süden Chiles und ließ sich unter anderem in Valdivia, Puerto Montt und Osorno nieder (also da, wo wir gerade sind) und bereits im Jahr 1858 wurde die Deutsche Schule in Valdivia gegründet, noch früher im Jahr 1851 die erste Brauerei Chiles und im Jahr darauf eine Freiwillige Feuerwehr. Die Auswanderung nach Chile wurde sogar aktiv vonseiten Chiles gefördert, indem man die Abenteuerlustigen mit Land und Steuergeschenken in das entlegene Gebiet lockte.
Und natürlich bringen die Deutschen neben Bier und der deutschen Sprache auch die deutsche Vereinskultur, Burschenschaften und preußische Werte mit ins ferne Chile.
Nach der Machtergreifung der Nazis kam es zu einer zweiten Einwanderungswelle in der Region durch politisch Verfolgte und jüdische Geflüchtete. Und auch hierher gelangten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einige Nazis, um sich der Verfolgung und Anklage für ihre Verbrechen in Europa zu entziehen. Weiter im Norden findet man seit den 1960er Jahren auch die berüchtigte Colonia Dignidad, auf die wir an dieser Stelle nicht genauer eingehen werden, aber wer einen Netflix-Zugang hat, kann sich dort eine spannende Dokumentation über die deutsche Kolonie und ihre Abgründe ansehen.
Neben einigen deutschen Wörtern, die bis heute Teil der Alltagssprache sind, und der ausgeprägten Braukultur im Süden Chiles, erinnert auch die Architektur eher an Mitteleuropa als an das, was wir sonst aus Südamerika gewohnt sind. Die schmucken Holzhäuschen zwischen den Bergen, Vulkanen und Seen fügen sich perfekt ein in die grünen Weiten Südchiles und ein bisschen fühlt man sich manchmal wie in einem Disney-Film.
Weniger Disney-Prinzessin und dafür mehr Reinhold Messner sind wir am nächsten Tag, denn es geht Bergsteigen und diesmal wirklich: Nach einigen Kilometern Wandern schnallen wir uns die Steigeisen um die Schuhe und holen den Eispickel aus dem Rucksack und dann geht es über den eisbedeckten Gletscher auf 2200 Meter hinauf in Richtung Vulkankrater am Villarrica. Der Vulkan ist noch ziemlich aktiv und leider seit einiger Zeit so aktiv, dass man nicht mehr ganz bis zum Krater hinaufklettern darf und somit gut 600 Meter davor Halt machen muss. Immer wieder bricht der Vulkan aus, das letzte Mal kam es im Jahr 2015 zu einer heftigeren Eruption und zahlreiche Messstationen stellen den Vulkan unter strenge Beobachtung. Da der Vulkan im Winter ein beliebter Ort für Skifahrer*innen ist, gibt es auch einen funktionierenden Skilift und die Reste eines früheren, der bei einem er Ausbrüche zerstört wurde. Nach etwa drei Stunden erreichen wir unser Ziel und machen uns bereit für die Abfahrt mit der Plastikpfanne wie wir sie als Kinder zum Schlittenfahren benutzt haben. Es ist ziemlich steil und es geht rasant die zuvor zurückgelegten Höhenmeter wieder hinunter und das ganze macht einen Heidenspaß!
Nachdem wir die letzten Wochen eher etwas entspannter unterwegs waren, schonen wir uns in Patagonien nicht und eine Wanderung jagt die nächste. Bei eher mäßigem Wetter besuchen wir den Nationalpark Huerquehue und müssen dafür bereits um 5.45 Uhr los, denn aufgrund des Ironmans 70.3 werden alle Straßen ab 6.00 Uhr gesperrt. So müssen wir dann noch etwa 2 Stunden im Auto vor dem Eingang des Parks warten, bis wir dann im Nieselregen loswandern dürfen. Drei Lagunen warten auf einer Strecke von etwa 13 Kilometern auf uns und obwohl wir es ruhig angehen lassen wollten, müssen wir ziemlich viel bergauf gehen. Auf dem Rückweg schmerzen die Füße dann ganz schön, denn unsere Wanderschuhe haben in den Wochen davor ihre treuen Dienste aufgegeben und die neuen müssen wir jetzt einlaufen und das macht gar keinen Spaß. Dafür gönnen wir uns danach noch einen Besuch in den Thermalbädern Los Pozones und entspannen unsere Muskeln ein wenig.
Nach einer Nacht im Chili Kiwi Hostel direkt am See fahren wir dann weiter nach Puerto Montt, einer relativ großen Stadt mit 170.000 Einwohner*innen etwa 2,5 Stunden entfernt von Valdivia. Hier übernachten wir in einer netten hospedaje (Herberge) bei José und Patricia.
Für den nächsten Tag ist bereits eine weitere Wanderung durch den Nationalpark Vicente Pérez Rosales geplant, um den imposanten Vulkan Osorno bestaunen zu können. Wir suchen uns dafür den Pfad Rincón de Osorno aus, einen relativ entspannt anmutenden Rundweg. Obwohl der Weg größtenteils flach ist, gibt es wenig Schatten und die starke Sonneneinstrahlung setzt uns ganz schön zu. Hinzu kommen die widerwärtigen und ziemlich aggressiven hummelgroßen Sandfliegen, die uns einfach nicht in Ruhe lassen wollen. Das letzte Stück müssen wir am Strand entlanglaufen und uns über Stock und Stein quälen. Am Ende brauchen wir vier Stunden für die gut 15 Kilometer. Auch wenn wir uns den Weg ein bisschen anders vorgestellt hatten, war die Aussicht einfach phänomenal!
Danach machen wir noch einen kurzen Abstecher zu den Saltos de Petrohue. Hier schlängelt sich der türkisblaue Fluss vor dem Panorama der Vulkane entlang und stürzt schließlich als Wasserfall in die Tiefe. Ein Fotomotiv jagt quasi das nächste und so langsam keimt die Sorge in mir auf, dass Patagonien der Höhepunkt aller bisherigen und zukünftigen Wanderurlaube sein könnte – und die Reise hat ja gerade erst begonnen!
Unsere erste Etappe endet also nach genau einer Woche in Puerto Montt und wir starten unsere zweite Etappe in Richtung Isla Chiloé und Chaitén, von der wir dann am nächsten Sonntag berichten.
Wie immer wünschen wir euch bis dahin eine gute Zeit!
Hannah y Felix